Allein

Ich bin kein Freund davon, alleine auf Veranstaltungen zu gehen – oder ins Kino. Manche machen das. Die denken sich: Kommt keiner mit – Geh ich halt allein. Ich tue mich dabei echt schwer. Schon die ganze Woche überlegte ich, zum Poetry Slam in die Katt zu gehen.

Einfach mal nur zuhören, ohne selbst auf der Bühne zu stehen. Am Sonntag Nachmittag fange ich an, nach Begleitpersonen für den Abend zu suchen. Keiner kann. Ich bin ein wenig frustriert. Aber war ja auch irgendwie abzusehen. Der Vorverkauf war auch schon vorbei. Dabei wurde extra darauf hingewiesen, dass man diesen bitte nutzen sollte. Vielleicht wäre die Couch auch eine gute Option. Naja und sicherer wäre sie auch – die Couch. Aber irgendwie wollte ich trotzdem los und so zog ich dann alleine zur Veranstaltung.

Dort angekommen, konnte ich tatsächlich noch an der Abendkasse bezahlen und rein. Die Daten wurden erfasst und ein junger Mann brachte mich zum Platz. Ein Kellner brachte mir die bestellte Cola und der Abend begann.

Zwei Stunden Maske tragen war schon nicht so der Wohlfühlfaktor, aber man schafft es. Einige der Poeten kannte ich tatsächlich von meinen Auftritten in Bergisch Gladbach und Wuppertal. Die meisten Texte kannte ich auch. 

Poetry Slam als Live Stream geht auch – zuhause auf der Couch, ohne Maske. Auch ‘ne Möglichkeit. Ist aber anders. Bringt nicht so viel vom Menschen rüber, lässt Kultur für mich nicht so nah ans Herz. Für mich ist das so.

Da stehen sie also vor mir an so ‘nem Abend: Menschen, die gerade nicht so systemrelevant sind. Sie, die trotzdem dafür sorgen, dass neben der Arbeit und den Verpflichtungen deine Seele Nahrung erhält. Dass die Seele lachen und weinen darf, eingehüllt in Worte, die bleiben.

Das Finale war ein Hoch auf Kultur. Lennard Rsr, ein begnadeter Wortakrobat, trug einen Text aus seinem Roman vor. Fast alle seiner Auftritte waren für dieses Jahr abgesagt, wie bei so vielen. Weil halt gerade nicht so sytemrelevant, weil gerade halt nicht so dran. Weil man halt gerade nicht alles schützen kann, weil halt der Kampf gegen das Virus nicht mehr viel Raum lässt für den Erhalt von Kultur. Weil wir einfach nicht alles schützen können. Weil halt irgendwas hinten über fällt. Weil Kultur sich schon von alleine wieder erholt.

Anna Lisa Tuczek, ebenfalls Finalistin des Abends, sang bei ihrem letzten Beitrag ihre eigene Hymne auf die Kultur, auf diese vergangenen Monate, auf all das Sterben einer ganzen Branche. Und sie berührte mein Herz. Sie schrie heraus, was man sich manchmal nicht traut zu sagen. Weil scheinbar nicht wichtig. Weil scheinbar nicht dran…

Und ich saß da hinter meiner ach so sicheren Maske und eine Träne sickerte durch den Stoff. Eine Träne der Rührung, und eine weitere der Wut und eine der Dankbarkeit. Dankbarkeit für alle, die in der Kultur noch irgendwas machen, akribisch vorbereiten und Hygienekonzepte ausarbeiten und durchführen, damit die Seele noch was ab bekommt vom Kuchen namens Leben. Eine Seele, die wie ein Kind nicht auf Dauer still halten kann. Eine Seele, die leise fragt, ob noch was übrig ist für sie. Eine Seele, die nicht buhlt, weil sie keine Lobby hat, weil sie scheinbar nicht so gefüttert werden muss wie gewisse Wirtschaft und Gesundheit.

Und ich verlasse die Veranstaltung mit einem teils schweren Herzen. So tief getroffen von der Unabänderlichkeit des Moments.

Systemrelevanz! Wer legt das eigentlich fest? Irgendwer hat es festgelegt und aussortiert, manches groß geschrieben und anderes verdammt klein. Durchhalten müssen – doch wie lange? Manche werden vergessen in dieser Zeit. Manche scheinen nicht schützenswert, manche müssen’s alleine packen, halt ohne Plan und und ohne Perspektive.

Das wird schon gehen! Weil keine Lobby laut schreit. Ich bin froh, dass ich los gezogen bin an diesem Abend. Auch allein, auch ein wenig für mich. Dieser Abend war besonders – wie vieles in dieser wirren Zeit. 

Ich will den Glauben nicht aufgeben, dass gerade die, die helfen, dass wir das Lachen und Staunen nicht verlieren, genauso systemrelevant sind wie die, die versuchen, den Karren namens Pandemie aus dem Dreck zu ziehen. Wir sind alle Teil der Lösung. Und wir tragen alle dazu bei, dass wir diese Zeit an Körper, Geist UND Seele schaffen.. Wir sind alle systemrelevant- ob man es uns zu oder abspricht! Ich bin dankbar für diesen besonderen Abend! 

Ein Hoch auf all die Menschen, die gerade gegen Windmühlen kämpfen!! Egal welchen Bereich des Lebens sie gerade schützen und bewahren.

Mit Enttäuschungen umgehen

Hier kommt der Artikel, den ich für Burningheartsreport geschrieben habe: https://burningheartreports.blogspot.com/2020/10/thema-des-monats-mit-enttauschungen.html?m=1&fbclid=IwAR1TdcC4Ird5cTAhrZNwK98KZ7K0BbcfPRuza7ZTc3DJ-6U81ySoynFbcvg

Meine Freundin meinte letztens: „Wenn ich den Führerschein mache, werde ich dir erst davon erzählen, wenn ich ihn geschafft habe.“ Ich bin irritiert: „Warum?“
„Naja,“ meint sie, „ vielleicht schaffe ich es nicht und dann bist du enttäuscht von mir.“
Ich schaue sie an: „Und du möchtest nicht enttäuschen, richtig?“ Ist meine Schlussfolgerung. „Genau,“ beschliesst sie das kurze Gespräch,“ ich möchte niemanden enttäuschen.“

Das kenne ich. Auch ich habe hohe Erwartungen an mich selber und möchte dieses Ideal aufrecht erhalten. Ich stelle mich gerne in gutem Licht da, kehre eher nach Aussen was ok und liebenswürdig ist, will ablenken von dem Dunklen und dem „Nicht-Können“, „nichts fertig-bringen“, „zu hoch stapeln“ und „alles-schaffen-wollen“.
Will ablenken von meiner Müdigkeit, meiner Menschenfurcht, meiner niedrigen Frustrationsgrenze, meinen Ängsten und gut behüteten und gesellschaftsfähigen Traumata. 

Ich will gerne, dass die Menschen um mich herum gut finden was ich tue. Deshalb erzähl ich lieber selten mehr von den Dingen, die ich schaffen will. Denn dann kommt ja vielleicht bald raus, dass es mir schwer fällt, mich auf Dinge zu konzentrieren, oder dass ich mehr davon spreche etwas zu tun als es wirklich anzupacken. Und wenn die Menschen dann mein wahres ICH sehen, werden sie ihr Urteil über mich sprechen. Oder sie werden einfach total enttäuscht sein. Ich weiss gerade nicht was schwieriger auszuhalten ist.

ENT – TÄUSCHEN ist aber eigentlich gar nicht so negativ

Das Wort vor dem wir uns doch oft panisch fürchten, ist eigentlich ein gewinnbringendes Wort:
Heisst es ja soviel wie: Raus aus der Täuschung.
Es bedeutet, dass ich lange einer Täuschung erlegen war, dass ich länger mehr erwartet habe als da war. Dann plötzlich kommt das AHA – Erlebnis und ich muss nicht weiter in einer Täuschung leben. Meine Erwartungen, an denen ich so lange festgehalten habe, sind nicht die Realität.
Und auch wenn Enttäuschung uns befreien sollte. Man erlebt es eher so:
Bäääms! Die Blase ist zerplatzt. Wir sind zurück auf dem Boden der Tatsache gefährlich hart aufgekommen. Der andere ist nicht so gut wie ich dachte, nicht so perfekt, nicht so gütig, nicht so liebevoll und nicht und niemals mehr vertrauenswürdig.
Das kann erstmal ein emotionaler großer Crash sein. Es fühlt sich nach Verlust an. Es ist wie ein bitteres Erwachen, das nicht erbeten wurde. Damit muss ich klar kommen und leben. Das muss ich mit einbeziehen in mein Leben und meine Beziehung. Ich muss mich von einer perfekten Welt verabschieden.

Enttäuschungen sind schmerzvoll. Sie zeigen mir, der andere stirbt gerade an meinen Erwartungen. Er ist nicht das, was ich in ihm sehen wollte, er ist menschlicher als ich vertragen kann, er ist nicht nach meinem Bild geformt.

Da habe ich an die wahre Liebe geglaubt und plötzlich nach Jahren festgestellt, dass ich da wohl mehr geglaubt habe als der andere. Da war ich loyal und ehrlich und ernte stattdessen plötzlich Lüge und Hinterrücksgeschwätz. Wenn ich von jemandem enttäuscht bin, rückt das mein Bild von ihm wieder zurecht. Es stirbt aber auch ein Wunschbild. Und ich muss mich damit auseinander setzen. Manchmal lebe ich ganz gerne in einer von mir selbst zusammengebastelten Traumwelt.

Ich bin ein zutiefst emotionaler Mensch.
Ich erleide Enttäuschungen erst einmal mit aller dazugehörigen Dramatik und ziehe mich dann gerne in mich zurück. Das ist mein persönlicher Trauerprozess, der gerade bei Enttäuschungen von Menschen, die mir sehr viel bedeuten, für mich dazu gehört. In diesem Prozess zerdenke ich erst einmal alles: Warum waren meine Erwartungen so hoch? Wie konnte ich mich so täuschen? Der emotionale Schmerz, der das Herz zerfressen will und der mich bitter machen möchte, ist der größte Feind in all dem. Denn, wenn ich nach Enttäuschungen nicht wieder bereit bin zu lieben, wenn ich mich nicht mehr verletzlich zeigen will, nicht mehr auf andere Menschen bauen will, dann verliere ich ein Stück vom Zauber des Lebens.
Und doch dauert es oft lange bis Vertrauen wieder heilt, bis Menschen wieder nah an mich ran dürfen-  gerade die, die soeben enttäuscht haben.
Tatsächlich  hilft es mir, bei all dem Umgang mit Enttäuschungen meinen Blick auf Jesus zu richten, weil er mir in all dem Wirrwarr von Enttäuschungen erstmal wieder Friede schenken kann. 

Etwas was ich durch Enttäuschung leider auch schnell verliere.
Der Frieden kippt, wenn ich dumpf auf dem Boden der Tatsachen angekommen bin, es rüttelt an meiner Vorstellung vom Leben, meinen Erwartungen an den anderen und meinem Vertrauen. Wie begegne ich dem anderen nach all dem? Wie gehe ich in Zukunft mit ihm um? Was kann ich noch glauben?
Das macht mich unruhig und zwingt mich zum Dauerfunktionieren, es scheint mir Leichtigkeit und Freude zu nehmen. Und es klaut den Frieden, den ich sonst mit dieser Welt habe.
Jesus hat mir mal gesagt: Meinen Frieden gebe ich euch! (Joh. 14,27-die Bibel). Darauf stelle ich mich, das will ich. Das sag ich Jesus. Ohne diesen Frieden mach ich nicht weiter!

Denn bei all den Dingen, die ich in Beziehungen kläre, bei all dem was menschlicher ist als ich es möchte, bei all den Enttäuschungen, die einen großen Kraftakt fordern, tut es gut bei Jesus auszuruhen. Ihm sagen zu können:
„Hier! Deine Welt! Hilf mir an den richtigen Stellen wieder Vertrauen aufzubauen. Gib mir gute Freundschaften, hilf mir Erwartungen an andere nicht so immens hoch zu hängen. Lass mich über all dies nicht bitter werden.“

Und vielleicht lehrt es mich auch, dass ich Beziehungen so mit gestalte, dass die hohen Erwartungen aneinander NICHT Maß aller Dinge sind.
Und vielleicht werden dann Enttäuschungen seltener und nicht mehr so dramatisch, weil ich lerne mich nicht mehr so schnell auf Täuschungen einzulassen. Und den anderen auch in seiner Unvollkommenheit und Schwäche stehen lassen zu können. Und ihn trotzdem von Herzen zu mögen!

Shut up and dance with me!

Das ach so soziale Netzwerk “Facebook” erinnerte die Tage an die Live-Musiktour in Wermelskirchen 2019. Ich lag schon im Bett, als mir die Erinnerung angezeigt wurde, und wollte nur schlafen. Aber das Herz konnte nicht. Stattdessen wühlten sich die Gedanken durch meinen Kopf. 
Wir könnten gerade in dieser wirren Zeit ein wenig mehr Musik und Kunst vertragen, ein gemeinsames “Wir schaffen das!”, ein leises “Wird schon wieder!” oder ein einfaches “Shout up and dance with me!”

Und doch ist gerade das, was der Seele vielleicht gut tun würde, ziemlich weit entfernt. Aber vermissen darf man, dachte ich. 
Gerne teile ich hier ein paar Gedanken dazu:

„Und so freuten wir uns auf Selbstverständliches,
Nicht wirklich Nötiges,
Nicht Lebenserhaltendes
Und doch so Willkommenes 
In unserer kleinen Welt!

Wenn das Können von Kunst 
Und das Klingen von Klängen 
und das Lachen von Freunden 
und das einfach zusammen sein wollen,
mal wieder den Atem kurz nimmt. 
Und du merkst es erst dann,
Wenn du es nicht mehr hast 
Weil vernünftiges Leben Vorsicht gebietet.
Aber halt keinen Leichtsinn…
Nur Vorsicht und Argwohn und Denken:
Was wäre denn, wenn…

Und das Verkopfte in mir klopft laut an die Tür und sagt:
Vorsicht geboten!!!
Und Leichsinn verboten!!!
Und ich Schweig. 
Denn der Kopf nickt bedächtig und andere schütteln ihn verächtlich
Vor meinem Wollen und Motzen
Vom heimlichen Dahinrotzen
all dem, was das Herz leise will.
Von Schunkeln und Taumeln
Von Küssen und Staunen 
Von der Welt, die ich liebe 
Von Gedanken, die bleiben 
Vom nicht anhalten wollen 
und nicht loslassen wollen.

Die Klänge berühren den Kopf nur von weitem,
Sie schaffen es nicht,
Mit ihm zu streiten.
Sie verklingen und verstummen an seiner Vorsicht,
Sie verkümmern und sterben
Ganz heimlich, allmählich.

Und wo wir doch so gerne Leben retten wollen in dieser Zeit,
Ich und die anderen 
Die Kleinen und Großen. 
Die, die es doch wissen 
Mit einer Armee von Wissenden im Rücken…
Die mehr wissen um Leben zu schützen 
Als ich, die ich nur die Klänge vermisse 
Und, dass Herzen aneinander reiben
Das gemeinsame bleiben 
Dass Sorgen vertreiben.

Die Klänge, die Herzen heilen 
und Menschen vereinen.
Sie sind nicht lebenserhaltend- nur lebensverändernd,
Sie sind nur kurz einmal da
Und erhellen die Welt Für alle,
Für Vorsichtige und Verkopfte,
Für Freiheitssuchende
Und Kämpfer 
Für alle, die aufgeben und die,
Die es einfach nicht sein lassen wollen 

Und die Klänge, sie klingen 
Auch wenn wir sie nicht lassen,
Sie sind bockig und rufen sich auf unsern Plan.
Sie sind auch dann da und erinnern 
An vergangene Tage
wenn grad keine Zeit ist Für Melancholie.
Die sich nicht darum battlen
Vorsicht zu bieten und vernünftig zu sein.

Wenn die Klänge wieder klingen 
Will ich stehen ganz vorne,
will schief singen und einfach albern sein.
Ich werde tanzen, umarmen 
ohne ängstlich vorahnen
und Die Welt in meinen Händen tragen.

Nächstes Jahr 
klingen gemeinsame Klänge hoffentlich wieder
Dann singt die Hoffnung allein ihre Lieder.
Und dann will ich nicht vergessen:
Klänge sind nicht nur lebenserhaltend sondern lebensverändernd.