Fasching, diese fünfte Jahreszeit ging 2021 zu Ende, wie sie begonnen hatte: Still und leise und ohne großes Aufgebot. Während diese eigentlich doch jecke Zeit „Gute Nacht“ sagt, obwohl sie vorher gar nicht recht wach war, kündigt sich schon die nächste Zeit an: Die Fastenzeit. Innehalten und verzichten. Zur Ruhe kommen und für sich sein. Und während die Fastenzeit in all den Jahren vorher für mich immer eine sehr besondere und prägende Zeit war, gestehe ich nun:
In diesem Jahr fällt es mir schwer. Denn ich habe das Gefühl, dass ich im letzten Jahr schon ziemlich viel verzichtet habe. So ganz unfreiwillig und immer mit der Angst im Nacken, dass man den Laden hier schnell dicht macht, wenn ich mich nicht an die Regeln halte. Oder, dass die Berührung eines anderen Menschen Gefahr bedeutet.
Ich habe das Gefühl, dass ich keine 40 Tage Fastenzeit hinter mir habe (obwohl sie mir doch eigentlich erst bevorsteht), sondern mehrere lange Monate… und, dass das mit dem Karneval schon ’ne Ecke her ist. Aber vielleicht komme ich ja auch so klar und verstecke mich einfach weiter in meiner Höhle namens Sicherheit.
Carmen Schenkel, Emotionsforscherin und Geschäftsführerin des Instituts September, schreibt an Weiberfastnacht 2021 einen sehr interessanten Artikel im RGA. „Um so disziplinierter man ist, um so wichtiger ist es, ab und zu auch mal zu eskalieren,“ meint sie. Corona habe den Menschen eine Disziplin sondergleichen abverlangt. Langsam mache sich ein apathischer Zustand in der Gesellschaft bemerkbar.
Und ich nicke zustimmend. Ich hier so in meiner Höhle.
„Es wäre,“ so Schenkel weiter, nachdem sie Karnevalisten in tiefenpsychologischen Interviews befragt hatte, „jetzt mal an der Zeit, ein paar Tage über die Stränge zu schlagen.“ Und Karneval sei dafür ideal.
Sie fährt fort und beschreibt die Zeit des Karnevals als eine Zeit, in der man sich „aus dem Alltag herausschunkeln könne um eine psychische Freiheit zu erlangen.“ Ich nicke wieder, während ich weiterlese.
„Ach wie sehr hätten wir das dieses Jahr gebraucht.“ seufzt sie zum Abschluss.
Ja, wie sehr hätten wir das in diesem Jahr gebraucht.
Wenn man die Fastenzeit ernst nimmt, tut es gut, wenn es vorher den persönlichen Karneval gegeben hat. Wenn man von Zeit zu Zeit nicht alles so ernst nimmt, wenn man tanzt und lacht und verrückt und wunderbar mit roten Zöpfen wirr durch durch den Alltag tanzt, trotz des Heimtückischen um einen herum – trotz der lauernden Gefahr. Raus aus der Höhle und mal wieder, und so verantwortlich wie man sein kann, den einen oder anderen in die Arme nimmt, damit die Seele auch einen Grund zum Feiern findet und nicht verkümmert.
Und so trete ich heraus aus meiner Höhle und wage den Verrat: Ich feiere meinen persönlichen Karneval trotz allem. Weil immer nur Disziplin träge und einsam macht. Ich nicke den Geschundenen zu und verstehe den Abgehangenen. Ich hebe die Kinder hoch auf meine Schultern, damit sie die Parade und auch weiterhin den Himmel sehen können, ihre Zukunft, die es noch gibt und immer geben wird, und bin präsent, damit sie gestärkt und mutig die Kamelle entgegen nehmen können, die das Leben noch für sie bereit hält.
Ich spreche an, was ich als so unsäglich ungerecht empfinde in meiner persönlichen Büttenrede (schön sarkastisch und penetrant), und bin bei allem dabei, was durch diese Pandemie, durch unsere gespaltene Gesellschaft und all die Überforderung trägt. Ich sage Nein zu übertriebener Distanz und hole jeden, den ich finden kann, wieder aus seinem Loch und feiere jeden noch so kleinen Schritt Richtung Leben.
Wenn ich den Leichtsinn wage und mir eingestehe, dass ich das kann, weil ich ein verantwortungsvoller Mensch bin, der sein Leben und das derer um sich herum ernst nimmt, wertschätzt und schützen will.
An Karneval kann ich egoistisch eskalieren und nehmen ohne Sinn und Verstand oder ich schunkle und lache mit dem nötigen Respekt. Auch wenn manche vielleicht denken, dass wir Politik und Führer brauchen, die uns zeigen, wie wir mit all den Gefahren umgehen müssen: Ich glaube, das können wir eigentlich gut selbst. Wir können mit der Pandemie leben, ihr Einhalt gebieten, schützen, was zu schützen ist, und trotzdem nicht die Freude miteinander verlieren.
Das braucht Mut und Kreativität – kreativ wie manch ein Karnevalskostüm, mutig wie die Themen der Wagenbauer, die sich auch mal nicht so leichte Kost gönnen und Ungerechtigkeit bockig und waghalsig zur Schau stellen.
Und wenn wir diesen persönlichen Karneval wagen, dann können wir getrost auch die Fastenzeit erleben. Dann können wir innehalten in all dem Verzicht und uns bewusst machen, was eine Krise mit uns macht und was sie uns zeigt. Sie zeigt unsere Wunden. Sie zeigt auf, was nicht ok ist mit uns und unserer Welt.
In der Fastenzeit, in der Stille und dem Verzicht wird schnell klar, wer wir wirklich sind. Wenn Ablenkung nicht da ist, zeigt es, wovor wir vielleicht gerne weglaufen. Das zu sehen, ist oft nicht schön, aber es ist auch eine tiefe Chance auf Veränderung!
Ich bin bereit für die Fastenzeit, weil es in meinem Leben auch die persönliche Karnevalszeit gibt. Und manchmal findet beides fast schon nebeneinander her statt. Es gibt Zeiten, in denen ich die Parade laufe.
Und dann gibt es die andere Zeit in der ich die Ruhe annehme, die Krise akzeptiere und mich frage, wer ich sein will in dieser Zeit. Und wer ich sein will am Ende von 2021.
Karneval und Fastenzeit. Ich wünsche Dir beides…
Verlier nicht den Mut und die Zuversicht und die Freude!